Inge Stender – Autorin
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So sehen mich andere

An meinem 60. Geburtstag spielte El Hierros einzige Rockband "Maneras de Vivir" und verbreitete fröhliche Laune bis das mehrgängige Essen serviert wurde. Zubereitet vom Sohn und der Köchin von Loli, Inhaberin eines gediegenen Gartenlokals in Echedo auf El Hierro, eine grüne Oase, "La Higuera de la Abuela". Auf Deutsch: Der Feigenbaum der Großmutter.

 

Eine bombastische Früchte-Sahnetorte von Barbara bildete den krönenden Abschluss - nicht der Feier - sondern des Mahls.

Nochmals spielten "Maneras de Vivir" auf. Ausklang des Festes mit typisch spanischen Tapas auf den Terrassen meines Anwesens mit Blick auf den Atlantik. Ein rundum gelungener Tag.

 

Ich danke allen, die zum Gelingen dieses Tages beigetragen haben.

 

Hier gehts zum Video (Flash-Video

 

Zu meinem Geburtstag schrieb mein lieber Nachbar Hans einen Zeitungsartikel, der in meinem Geburtsort Ebstorf in der Tageszeitung erscheinen sollte. Da aber Ebstorf immer noch ein kleiner Flecken ist, gibt es da keine eigene Tageszeitung.

Darum erscheint der Artikel jetzt hier.

 

Die schräge Inge aus Ebstorf

 

Gratulation zum 60. Geburtstag.

 

Um mich nicht falsch zu verstehen: Inge ist nicht schräg. Sie heißt bei uns nur so, weil sie schräg unter uns wohnt. Am 10. Juli wird sie sechzig. Wie unter Freunden üblich, wird an dem Tag ein Fest gemacht. Und weil es ein runder Geburtstag, und Inge ihrem Musikgeschmack treu geblieben ist, will sogar die Insel-Rockband "Maneras de Vivir" (Lebensweisen) ein privates Gastspiel geben.

 

Spanische wie deutsche Sprachfetzen werden über den langen Tisch fliegen, man unterhält sich mit Freunden, die man länger nicht gesehen hat, obwohl die Insel mit ihren rund 10500 Einwohnern kaum mehr als ein Dorf ist, wo jeder jeden kennt. Aber hier kann man trotzdem völlig zurückgezogen leben. Hier, das ist Inges neue, selbstgewählte Heimat: El Hierro, die kleinste, touristisch unberührteste Kanareninsel. Schuld an Ihrer Wahl sind Zufälle oder eben das Schicksal.

 

Geboren am 10. Juli, ein Jahr nach Kriegsende, in Ebstorf im Haus der Großeltern in der Blumenstraße 2. Die Oma kümmert sich liebevoll um ihre erste Enkeltochter. Die Urgroßmutter glaubt, wenn sie nur ein Bolschen (Bonbon) hätte, würde ihre Urenkelin sie auch erkennen. Wegen Arbeit als Autoschlosser zieht Inges Vater mit seiner jungen Familie ins Ruhrgebiet. Inge fühlt sich dort nie wohl, Ebstorf bleibt ihre heimliche Heimat. Als der Opa beinahe Schützenkönig wird, ist Inge mit ihrer Schwester Ursula in Ebstorf. Der Opa präsentiert sich stolz mit beiden Kindern in Uniform der Kamera.

 

Oma

 

Opa

 

Inge besucht ihre über alles geliebte "Oma Ebstorf" regelmäßig. Erinnerungen an Ebstorf hat sie viele aus Kindertagen während der Sommerferien, wenn sie mit Oma Steinpilze und Samtkappen im Wald sucht oder Hallimasch zum Eindosen beim Dosenmacher. Wenn sie sich in die "Bickbeeren" aufmachen, und es abends Heidelbeerpfannkuchen gibt, wenn sie zum Sonntagsgottesdienst in die Klosterkirche wandern oder mit Blumen und Hacke bewaffnet zum Friedhof, ein langer Weg für ein Kind, der aber auf dem Rückweg mit zwei Kugeln Eis beim Bäcker versüßt wird. Viele Jahre später die gleichen Rituale im Auto ihres Verlobten, der genau wie sie evangelische Theologie studiert. Dem sie Pilzesuchen beibringt, allerdings mit zweifelhaftem Erfolg: Sein Korb ist meist nur mit bitteren Gallenröhrlingen gefüllt, die er für Steinpilze gehalten hat!

 

Inge wird Studienrätin an einem Gymnasium nahe Bremen.

Ihr Hals-Nasen-Ohrenarzt, der ihr wegen ihrer Allergien das Klima der Kanaren empfiehlt, und das legendäre Werk "El Hierro, die vergessene Insel" von Michael Fleck, sind schuld daran, dass sie 1989 das erste Mal mit dem Fährschiff im Hafen von El Hierro, dem Puerto de la Estaca, anlegt. Der noch Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts nicht existierte, als man nur durch Ausbooten an Land gelangte und die Boote an Pfählen festgemacht wurden. Erst das unfreiwillige Bad König Alfonsos XIII anlässlich einer Stippvisite führt zum Bau des ersten Kais. Heute besitzt El Hierro einen ansehnlichen Hafen, der ursprüngliche Name aber, Puerto de la Estaca, (Pfahlhafen), ist erhalten geblieben.

 

Als Inge das erste Mal von einem Aussichtspunkt auf das riesige, flach abfallende Krater-Halbrund El Golfos herunter blickt, mit seinen steilen grünen Hängen, schroffen Klippen aus schwarzer Lava vor endlos blauem Meer, geschieht Unglaubliches: Inge verliebt sich in dieses bizarr schöne Eiland, kauft spontan ein Grundstück mit einer Ruine drauf.

 

Zehn Jahre später kommt sie nach El Hierro, um zu bleiben, begreift die Frühpensionierung wegen Burn-out-Syndroms nach 25 Dienstjahren als zweite Lebenschance. Mithilfe eines Baukredits wird das über achtzig Jahre alte Kanarenhaus wieder aufgebaut.

 

Wie geht es Inge heute? Meerklima und Wärme tun ihr gut. Ihre arthrotischen Gelenke hält sie mit Yoga und Schwimmen fit. Ansonsten fährt sie Motorroller. Säen und Ernten, gehört genauso zu ihrem Alltag wie das tägliche Schreibpensum. Zunächst auf einem Schreibmaschinen-Auslaufmodell mit anschließender Klebetechnik, seit ein paar Jahren nur noch am PC. Bescheidener Teilerfolg stellt sich ein: ein paar veröffentlichte Kurzgeschichten unterschiedlichen Genres in verschiedenen Anthologien. Demnächst auch ihr erster Kriminalroman. Aus dem Ebstorfer Wickelkind ist eine lebenslustige, fröhliche Inselbewohnerin und Nachbarin geworden. Und nun wird sie 60, die Inge.

 

Ein letzter Draht zu ihrem Geburtsort ist mit auf "ihre Insel" gereist. Er steht in ihrer Bibliothek: "Ebstorf, Aus der Chronik", Becker Verlag Uelzen, 1982. Verschämt kramt sie das Buch hervor, als ich sie interviewe und nach ihrer Heimat frage. "Meine Heimat?", meint sie erstaunt, "die ist El Hierro!" Ich kann es nur bestätigen. Und gratulieren.

 

Hans Ottlik

 

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